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Umgangs- und Sorgerechts-Blog
Sorgerecht und Amtsermittlungspflicht des Gerichtes

Sorgerecht und Amtsermittlungspflicht des Gerichtes

Matthias Bergmann

Sorgerecht: Familiengericht muss Amtsermittlungspflicht einhalten

Das Sorgerecht können Eltern nicht einfach abgeben. Es kann ihnen nur entzogen werden, wenn das Familiengericht seiner Amtsermittlungspflicht gem. § 26 FamFG nachgekommen ist. Ein Sorgerechtsentzug gem. § 1666 BGB erfordert die Feststellung einer Kindeswohlgefahr durch das Gericht. Ob die Eltern dem Sorgerechtsentzug zustimmen, oder nicht ist irrelevant. Ermittelt das Gericht nicht sorgfältig, so kann das Oberlandesgericht die Sache zur erneuten Entscheidung nach Ermittlung wieder zurück an das Amtsgericht verweisen.
So geschah es in einem Fall, in dem unsere Rechtsanwältin Jennifer Otto für unsere Mandanten nicht nur erkämpfte, dass das Familiengericht sorgfältig prüfte, sondern am Ende auch, dass das Kind zur Familie zurückkehren konnte.

*
Hier die Entscheidung des Oberlandesgerichtes, mit einer deutlichen Rüge an die Amtsrichterin:

Beschlussformel: Rückverweisung wegen mangelnder Amtsermittlung

OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
BESCHLUSS
In der Familiensache

betreffend das minderjährige Kind, geboren am …., aufhältig in einer Jugendhilfeeinrichtung in ,
mit den weiteren Beteiligten:
….
hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Offermanns, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Bülow und die Richterin am Oberlandesgericht Vormbrock

b e s c h l o s s e n :
1.
Auf die Beschwerde der Eltern wird der am 16.11.2022 erlassene Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wesel und das diesem zugrunde liegende Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die erstinstanzlichen Kosten – an das Amtsgericht – Familiengericht – Wesel zurückverwiesen.

2.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Sachverhalt

Hintergrund und Verfahrensverlauf

I.
Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die miteinander verheirateten Eltern der am 15.05.2009 geborenen Tochter. Die Tochter hat versucht, sich das Leben zu nehmen und zeigte selbstverletzendes Verhalten. Sie erhob den Vorwurf, sie werde im elterlichen Haushalt misshandelt, zur Bestrafung habe sie verschimmelte Lebensmittel essen müssen. Sie äußerte, ihr sei alles egal, sie hasse alle Menschen. In der Einrichtung in der sie seit Ende September 2022 lebte, zeigte sie hoch auffälliges Verhalten. U.a. versuchte sie, ein anderes Kind mit einem Kissen zu ersticken. Nach einer Besprechung mit den Eltern am 28.09.2022 nahm das Jugendamt das Kind am nächsten Tag in Obhut, weil die Eltern am 29.09.2022 dem weiteren Verbleib des Kindes in einer Jugendhilfeeinrichtung nicht mehr zustimmten.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.11.2022 entzog das Amtsgericht den Eltern gestützt auf § 1666 BGB Teile der elterlichen Sorge und führte zur Begründung aus, die Ursachen des Verhaltens des Kindes seien bislang unklar und bedürften der Abklärung. Dazu sei es erforderlich, den Eltern Teile der elterlichen Sorge zu entziehen, da unklar sei, ob und inwieweit die Eltern mitursächlich für das auffällige Verhalten seien. Die Eltern hätten sich mit dem Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge im Termin am 28.10.2022 einverstanden erklärt, um eine schnelle Hilfe für das Kind zu ermöglichen.

Beschwerde wegen mangelnder Amtsermittlung des Familiengerichtes

Gegen die den Eltern frühestens am 16.11.2022 zugestellte Entscheidung haben diese mit einem am 15.12.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben Beschwerde eingelegt und begehren die Aufhebung des Beschlusses vom 16.11.2022.

Keine Gefährdung des Kindeswohls: mangelnde Amtsermittlung

Sie haben ausgeführt, ein Eingriff in die elterliche Sorge nach § 1666 BGB sei nicht gerechtfertigt. Durch die Ausübung der elterlichen Sorge durch sie werde das Kindeswohl nicht gefährdet. Zwar sei es nach dem Wechsel des Kindes auf das Gymnasium im Sommer 2019 vermehrt zu psychischen Problemen und selbstverletzendem Verhalten gekommen und es seien vermehrt Konflikte mit dem Kind ausgetragen worden.

Versorgung des Kindes gesichert

Man habe sich in der Folgezeit sehr um eine psychologische Anbindung des Kindes gekümmert. So habe im Marien-Hospital Wesel nach der Vorstellung des Kindes am 18.03.2021 festgestellt werden können, dass das Kind an einer mittelgradigen depressiven Episode gelitten habe, die Diagnose sei bei der Wiedervorstellung am 05.05.2021 gesichert, gleichzeitig sei ein Platz in der Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Marien-Hospitals Wesel in Aussicht gestellt worden. Das Kind habe dort am 09.07.2021 an einem Probetag teilgenommen und einen positiven Eindruck gewonnen, habe aber zunächst mit einer Freundin gemeinsam Urlaub machen wollen, was man ihr gestattet habe. Mit dem Schulwechsel auf eine Gesamtschule zum Schuljahr 2021/2022 habe sich ihr Zustand dann deutlich gebessert, in der Folge sei das Kind indes wieder gemobbt worden. Sie habe einmal ein Messer mit in die Schule genommen, weil sie sich habe verteidigen wollen. Nachdem die Schule ihr erklärt habe, dies werde nicht toleriert, sei es bis zum Ende des Schuljahres nicht mehr zu Vorfällen/Auffälligkeiten gekommen.

Psychisch auffälliges Verhalten

Ab September 2022 habe das Kind sich dann wieder etwas zurückgezogen, man habe dann erfahren, dass das Kind davon träumte, sich und andere Menschen umzubringen und Clowns ihr in ihren Träumen Aufgaben stellten und ihr Ärger androhten, wenn sie die Aufgaben nicht erfülle. Auch vor Ärger im Elternhaus habe sie Angst. Danach habe sich die Mutter auf Empfehlung der Vertrauenslehrerin nach einem Elterngespräch um eine erneute psychologische/psychotherapeutische Anbindung des Kindes bemüht. Am 26.09.2022 habe das Kind dann gegenüber der Vertrauenslehrerin erklärt, sie sei wegen des Elterngesprächs bestraft worden und habe im Flur schlafen müssen. Zudem sei sie als Psycho beschimpft worden. Diese Vorwürfe stimmten nicht.

Gefährdungsmeldung des Gerichtes

Daraufhin habe die Schule eine Gefährdungsmeldung gemacht. Am 28.09.2022 habe das Kind dann in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Jugendamt erklärt, sie habe geträumt, eine Lehrerin umzubringen und könne sie seitdem nicht mehr ansehen. Sie habe eine neutrale und eine böse Stimme im Kopf. Auf einer Strichliste halte sie ihre Suizidversuche fest. Sie habe Angst, nach Hause zu gehen.

Unterbringung des Kindes für psychiatrische Anbindung

Im Anschluss daran habe man das Kind mit Zustimmung der Eltern in eine Einrichtung der Jugendhilfe gebracht. Man habe unter der Bedingung zugestimmt, dass das Kind psychologisch/psychotherapeutisch betreut werde. Als man am 30.09.2022 erfahren habe, dass das Kind noch nicht angebunden worden sei, habe man dem Jugendamt mitgeteilt, dass man mit der Fremdunterbringung nicht mehr einverstanden sei. Danach sei das Verhalten des Kindes immer problematischer geworden, u.a. habe das Kind einem anderen Mädchen ein Kissen ins Gesicht gedrückt. Daraufhin sei für das Kind in der Institutsambulanz des LVR-Klinikums in Moers ein Termin am 26.10.2022 vereinbart worden. Die dafür erforderliche Zustimmung habe man auf die Bitte des Jugendamtes vom 20.10.2022 nicht sofort in die Inobhutnahmestelle bringen können, da die Berufstätigkeit der Eltern dies nicht zugelassen habe. Bereits am 21.10.2022 habe man dies aber nachgeholt. Eine Kindeswohlgefährdung gehe von ihnen nicht aus.

Zustimmung der Eltern zum Sorgerechtsentzug

Sie hätten der Sorgerechtsentziehung nur zugestimmt, weil man ihnen erklärt habe, dass dies das Beste für das Kind sei. Die genaue Tragweite der Erklärung hätten sie nicht erkannt. Das Kind sei auch nicht angehört worden. Der Beschluss lasse offen, ob sie das Wohl des Kindes gefährdeten. Die Sorgerechtsentziehung sei deshalb rechtswidrig und zudem auch nicht erforderlich, da sie mit dem Jugendamt kooperieren würden.

Vortrag des Jugendamtes

Das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Jugendamt ist der Beschwerde entgegengetreten und führt aus, die Eltern hätten die Interessen des Kindes nicht hinreichend im Blick gehabt und das Kind entgegen der Empfehlungen der LVR-Klinik in Urlaub fahren lassen. Trotz ihnen bekannter Diagnosen und bestehender Behandlungsbedürftigkeit hätten die Eltern keinen weiteren Behandlungsbedarf gesehen und hätten die Symptome unbehandelt gelassen. Das Kind sei nicht hinreichend von den Eltern unterstützt worden. Insgesamt zeige auch die weitere Entwicklung des Kindes, nach einem Aufenthalt im LVR-Klinikum vom 29.10.2022 bis zum 13.12.2022 befinde sich das Kind jetzt in einer Einrichtung in Rott, wo sie sich positiv entwickele, dass der Sorgerechtsentzug erforderlich sei und das Kind in der Wohngruppe verbleiben müsse. Es bestehe weiter auch die Gefahr, dass das Kind von den Eltern körperlicher und psychischer Gewalt ausgesetzt werde und sich ihr Zustand dann erneut verschlechtere.

Rechtliche Würdigung zur Amtsermittlungspflicht des Familiengerichtes

II.
Die zulässige Beschwerde der Eltern hat den aus dem Tenor ersichtlichen (vorläufigen) Erfolg.

Aufhebung und Zurückverweisung

Die Sache ist unter Aufhebung des Beschlusses vom 16.11.2022 und des zugrunde liegenden Verfahrens entsprechend § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da das Amtsgericht bislang eine eigene Entscheidung in der Sache unterlassen hat. Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG liegen vor.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG darf eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht auch ohne entsprechenden Antrag erfolgen, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges in der Sache noch nicht entschieden hat.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gericht erster Instanz einen Antrag als unzulässig zurückweist, einen nach § 7 zu Beteiligenden fehlerhaft nicht hinzuzieht oder eine unzulässige Teilentscheidung trifft (vgl. Zöller-Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 69 Rdn. 8; Abramenko, in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 69 Rdn. 9; Sternal, in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 69 Rdn. 14).

Rechtliche Grundlagen der Rückverweisung

Die Vorschrift soll ferner entsprechend anwendbar sein, wenn ein Elternteil die für eine Sorgerechtsübertragung erforderliche Zustimmung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Beschwerdeverfahren widerruft, weil erst dann die Prüfung erforderlich wird, ob die von dem antragstellenden Elternteil begehrte Alleinsorge dem Kindeswohl am besten entspricht. Für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift in der letztgenannten Situation wird angeführt, dass es dann an einer gerichtlichen Entscheidung „in dieser Sache“ – also ob die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB vorliegen – fehle, da das Familiengericht in erster Instanz aufgrund der Zustimmungserklärung des anderen Elternteils in die Sorgerechtsübertragung an den übereinstimmenden Elternwillen ohne Richtigkeitskontrolle, Auswahlermessen oder Prüfung der Motive gebunden gewesen sei (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. vom 17.02.2011, 6 UF 14/11, FamRZ 2011, 992, zit. nach juris, Rdn. 4, 5; Sternal, in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 69 Rdn. 14a).
Eine entsprechende Anwendbarkeit von § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist nach Auffassung des Senats auch für den Fall geboten, dass eine weitere Prüfung eines Antrags wegen des erklärten Einverständnisses der übrigen Beteiligten nicht erfolgt ist (s. auch Sternal, in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 69 Rdn. 14 unter Hinweis auf OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 992 für die Zustimmung zu einem Alleinsorgeantrag) bzw. wenn eine Entscheidung über das dem Verfahrensgegenstand zugrundeliegende Rechtsverhältnis – gleich aus welchen Gründen – nicht getroffen worden ist (Althammer, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl. 2020, § 69 Rdn. 8; OLG Hamm, FamRZ 2013, 310, zit. nach juris, Rdn. 15).
Nach den vorstehenden Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Entscheidung und des dieser zugrunde liegenden Verfahrens vor.

Keine eigene Entscheidung des Amtsgerichtes erkennbar

Denn das Amtsgericht hat eine eigene Entscheidung darüber, ob überhaupt ein teilweiser Sorgerechtsentzug nach § 1666 BGB gerechtfertigt ist, unterlassen. In dieser Sache hat das Amtsgericht nicht entschieden.
Die vom Amtsgericht gegebene Begründung für den teilweisen Sorgerechtsentzug kann nur so verstanden werden, dass es aufgrund des von allen Beteiligten abgegebenen Einverständnisses in den Sorgerechtsentzug eine Bindung an den verlautbarten Willen der Beteiligten angenommen und darauf beruhend den Eltern ohne weitere Sachprüfung die elterliche Sorge entzogen hat.

Keine inhaltliche Prüfung der Sache durch Familiengericht

So hat das Amtsgericht zum Entzug der elterlichen Sorge lediglich ausgeführt, die getroffene Entscheidung beruhe auf §§ 1666, 1666a BGB. Von der Prüfung, ob die Voraussetzungen der vorbezeichneten Vorschriften vorliegen, hat es unter Hinweis auf das vorliegende Einverständnis sämtlicher Beteiligter betreffend den Sorgerechtsentzug der Eltern im Grunde abgesehen und insbesondere sogar ausdrücklich offen gelassen, ob von den Eltern eine Gefährdung des Kindeswohls ausgeht und ein Sorgerechtsentzug verhältnismäßig ist. Anders kann der Hinweis des Amtsgerichts auf den Umstand, das Kind sei hoch auffällig, die Ursache für ihr Verhalten sei unklar und bedürfe dringend der Abklärung, dazu sei es erforderlich, dass ein Ergänzungspfleger Teilbereiche der elterlichen Sorge ausübe, die Eltern hätten sich damit einverstanden erklärt, um schnelle Hilfe für das Kind zu gewährleisten, nicht verstanden werden.

Kein Sorgerechtsentzug durch Einverständnis

Dass das Amtsgericht den Entzug der elterlichen Sorge auf andere Gründe, als auf das Einverständnis sämtlicher Beteiligter gestützt hätte, kann der Entscheidung ebenso wenig entnommen werden wie dem als Auslegungshilfe heranzuziehenden Protokoll des Termins vom 28.10.2022. Damit lassen die Entscheidungsgründe erkennen, dass sich das Amtsgericht nicht die Frage vorgelegt hat, ob im Entscheidungszeitpunkt überhaupt eine Kindeswohlgefährdung durch die Eltern bestand noch hat es sich damit befasst, ob eine etwaige Gefährdung des Kindes nicht anders als durch den vollständigen Entzug der elterlichen Sorge abgewendet werden konnte.

Mangelnde Amtsermittlung durch Amtsgericht

Dies begegnet bereits grundsätzlichen Bedenken. Denn bei der Auslegung und Anwendung von § 1666 BGB, hier durch den Eingriff in das Elternrecht durch eine Gerichtsentscheidung, ist der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG steht (BVerfG, FamRZ 2014, 907, zit. nach juris, Rdn. 18; BVerfG, FamRZ 2010, 713, zit. nach juris, Rdn. 33). Steht eine Kindeswohlgefährdung fest, ist zudem auf der Rechtsfolgenseite – wie bei jeder staatlichen Maßnahme – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren (st. Rspr., s. BVerfG, Beschl. vom 24.11.2020, 1 BvR 2318/19, FamRZ 2021, 749, zit. nach juris, Rdn. 22; BGH, FamRZ 2019, 598, zit. nach juris, Rdn. 33).

Fehlende Verhältnismaß Prüfung

Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden sind, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann, § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB. Wird mit einer gerichtlichen Entscheidung eine Trennung des Kindes von seiner Familie herbeigeführt bzw. – wie hier – die Fortdauer derselben gerechtfertigt, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass das Gericht wegen der hohen Eingriffsintensität die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret zu benennen hat (BVerfG, aaO, FamRZ 2021, 749, zit. nach juris, Rdn. 24). Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff kann daher nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren – einer ebenfalls im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden ziemlichen – Sicherheit eines Schadenseintritts verhältnismäßig sein (s. BGH, FamRZ 2019, 598, zit. nach juris, Rdn. 33).

Mangelnde Amtsermittlung des Amtsgerichtes

Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Amtsgerichts, die eine eigene sachliche Bewertung des Sachverhalts am Maßstab des § 1666 BGB nicht erkennen lässt, nicht gerecht. Sie beschränkt sich auf den Hinweis, das Kind benötige Hilfe, dazu sei es erforderlich, einen Ergänzungspfleger einzusetzen, die Eltern hätten sich mit dem Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge einverstanden erklärt, damit das Kind schnelle Hilfe ermöglicht werde. Dass lässt erkennen, dass das Amtsgericht einzig und allein das Einverständnis der Eltern und der weiteren Beteiligten zur Rechtfertigung des Sorgerechtsentzugs hat genügen lassen. Dass das Amtsgericht abseits des Einvernehmens sämtlicher Beteiligter in den Sorgerechtsentzug, dem von vornherein keine rechtliche Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung zukommen konnte (dazu sogleich), eigene Feststellungen zur Annahme einer akuten Kindeswohlgefährdung bei fortbestehendem Sorgerecht der Eltern getroffen hat, ist nicht ersichtlich; dies wird vielmehr ausdrücklich offen gelassen. Das Amtsgericht hat demensprechend nicht geprüft, aufgrund welcher Umstände das Kindeswohl akut gefährdet ist bzw. bei fortschreitender Entwicklung sicher gefährdet wird. Ebenso wenig hat das Amtsgericht untersucht, ob geeignete und mildere Mittel als der teilweise oder vollständige Sorgerechtsentzug zur Verfügung stehen, um einer evtl. vorliegenden Kindeswohlgefährdung zu begegnen. Damit hat es zugleich gegen seine Verpflichtung aus § 26 FamFG verstoßen, die entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen.

Verzicht auf Sorgerecht nicht möglich

Im Übrigen durfte die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB durch das Amtsgericht trotz der von den Eltern zu Protokoll gegebenen Erklärung, ihr Sorgerecht abgeben zu wollen, schon deshalb nicht unterbleiben, weil derartige Erklärungen das Gericht nicht binden. Weder die Eltern noch die weiteren Beteiligten können im Rahmen eines Verfahrens wegen Kindeswohlgefährdung, in dem in Ausprägung des staatlichen Wächteramtes die Offizialmaxime und der Grundsatz der Amtsermittlung uneingeschränkt gelten, über die elterliche Sorge disponieren (s. auch OLG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 31.05.2019, 13 UF 13/19, FamRZ 2020, 596, zit. nach juris, Rdn. 72). Genauso wenig darf in solchen Fällen von einer Begründung der Sachentscheidung abgesehen werden, da § 38 Abs. 4 Nr. 2 FamFG die Dispositionsbefugnis der Beteiligten über den Verfahrensgegenstand voraussetzt, woran es in Verfahren, die – wie hier – dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegen, fehlt (s. BVerfG, FamRZ 2021, 749, zit. nach juris, Rdn. 30; OLG Schleswig-Holstein, aaO, FamRZ 2020, 596, zit. nach juris, Rdn. 73).

Prüfung der Kindeswohlgefahr muss noch erfolgen

Die nun erforderliche Prüfung, ob tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung durch die Eltern vorliegt, der nur mit dem Entzug des Sorgerechts begegnet werden kann, ist damit dem Familiengericht als der sachnäheren Instanz zu übertragen. Nur so wird überdies vermieden, dass die fehlende Sachentscheidung dem Verlust einer Tatsacheninstanz gleichkommt.
Die angefochtene Entscheidung war daher einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Eines besonderen Antrags bedurfte es hierfür nicht (s. auch OLG Frankfurt, FamRZ 2021, 1817, zit. nach juris, Rdn. 13; Althammer, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl. 2020, § 69 Rdn. 8).

Absehen von mündlicher Erörterung beim OLG

Von persönlichen Anhörungen und einer mündlichen Erörterung sieht der Senat ab, weil eine erneute Vornahme für die hier getroffene Entscheidung keine zusätzlichen Erkenntnisse erwarten lässt, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Amtsgericht es zudem entgegen § 159 Abs. 1 FamFG unterlassen hat, das Kind anzuhören, § 159 Abs. 1 FamFG. Dabei kann von dieser Vorschrift gerade in Verfahren nach § 1666 BGB nicht abgesehen werden, § 159 Abs. 2 S. 2 und S. 3 FamFG.

Kostenentscheidung

Die verfahrensrechtlichen Nebenentscheidungen folgen aus § 81 FamFG i.V. mit § 20 FamGKG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Eine Rechtsmittelbelehrung ist deshalb nicht zu erteilen.

Offermanns Dr. Bülow Vormbrock
Vors. Richter am OLG Richterin am OLG Richterin am OLG

Beglaubigt
Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle
Oberlandesgericht Düsseldorf

*

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