nach BGH, Beschluss zum Wechselmodell vom 01.02.2017 Az.: XII ZB 601/15
Das paritätische Wechselmodell ist in vielen Ländern schon die Ausgangsbasis der kindlichen Betreuung nach der Trennung der Eltern. Gerade in Skandinavien sind ca. 40% der Kinder nach der Trennung in einem solchen Modell betreut. In Deutschland war bis zu der Entscheidung des BGH im Februar an den meisten OLGs die Meinung vorherrschend, dass ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils nicht durchsetzbar sei. Warum das so sein sollte bleibt auch Lesern der entsprechenden Rechtsprechung weitestgehend schleierhaft, aber so wurde entschieden.
Der BGH hat dies nun anders entschieden und klargestellt, dass selbstverständlich auch ein Wechselmodell im Rahmen einer Umgangsregelung angeordnet werden kann, wenn dies für das Wohl des Kindes die beste Umgangsregelung ist.
Die Entscheidung führt dazu folgende Überlegungen an:
Möglichkeit der Anordnung eines Wechselmodells
Die Anordnung eines Wechselmodelles auch gegen den Willen eines Elternteils ist möglich. Dabei kann dies sowohl auf der Grundlage und im Rahmen einer Umgangsregelung als ggf. auch im Rahmen einer sorgerechtlichen Entscheidung geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2017, XII ZB 601/15).
Ob im Einzelfall die Anordnung des Wechselmodells möglich ist, muss unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls beurteilt werden. Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls hat der BGH die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens etabliert (BGH, FamRZ 2010, 1060 Rn. 19; FamRZ 1990, 392, 393 mwN). Dass zwischen den Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell Konsens besteht, ist hingegen keine Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung.
Das ergibt sich bereits aus der Erwägung, dass der Wille des Elternteils und das Kindeswohl nicht notwendig übereinstimmen und es auch nicht in der Entscheidungsbefugnis eines Elternteils liegt, ob eine dem Kindeswohl entsprechende gerichtliche Anordnung ergehen kann oder nicht (vgl. BGH, FamRZ 2016, 2082 Rn. 35; OLG Naumburg FamRZ 2014, 1860, 1861; Schmid NZFam 2016, 818, 819). Würde der entgegengesetzte Wille eines Elternteils gleichsam als Vetorecht stets ausschlaggebend sein, so würde der Elternwille ohne Rücksicht auf die zugrundeliegende jeweilige Motivation des Elternteils in sachwidriger Weise über das Kindeswohl gestellt (vgl. BGH 15. Juni 2016 – XII ZB 419/15 – FamRZ 2016, 1439 Rn. 21 ff.).
Diese einfachen und klaren Überlegungen sind genauso richtig wie nachvollziehbar. Das bedeutet aber nicht – wie manche Befürworter des Wechselmodells meinten – dass das Wechselmodell stets oder auch nur grundsätzlich anzuordnen ist. Der BGH hat vielmehr einige Richtlinien für die Beurteilung dargelegt:
Voraussetzungen für die Anordnung des Wechselmodells nach BGH
Das Wechselmodell ist nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluss vom 01.02.2017, XII ZB 601/15 – Rn. 27) anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht. Es geht also um eine Einzelfallbetrachtung..
Für die Anordnung des Wechselmodells ist vorauszusetzen, dass eine tragfähige Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen besteht, eine gewisse Nähe der elterlichen Haushalte, die entsprechende Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen sichergestellt ist und die Eltern fähig sind sich der Betreuungssituation entsprechend angemessen abzustimmen und entsprechend zu kooperieren.
Noch Fragen? Wir helfen Ihnen weiter. Kontaktieren Sie uns.Bindung des Kindes
Es muss eine sichere Bindung des Kindes an beide Eltern bestehen. Das kann sich aus dem Bindungsverhalten des Kindes ergeben, oder ggf. kann auch die Betreuung vor der Trennung als Anhaltspunkt einer solchen Bindung herangezogen werden.
Nähe der Lebensumgebungen
Die Kindeseltern müssen ausreichend nah aneinander wohnen. Unabhängig von der genauen Art der Ausgestaltung eines Wechselmodelles muss unproblematisch der Zugang des Kindes zu Betreuungseinrichtungen, Kindergarten bzw. Schule und sozialem Umfeld von beiden Eltern aus möglich sein.
Kommunikation und Kooperation
Zwischen den Eltern muss auch eine für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ausreichende Fähigkeit zur angemessenen Kommunikation und Kooperation gegeben sein.
Zum Thema Kommunikation – sowohl mit dem ehemaligen Partner, als auch mit den Kindern – finden Sie unter www.scheidung.org/kinder/ einen umfangreichen Ratgeber, der viele auch nicht juristische Fragen beantwortet. Sollten Fragen offen bleiben, sprechen Sie uns jederzeit gern an.
Prüfungsmaßstab der Kommunikationsfähigkeit
Laut BGH ist für die Anordnung eines Wechselmodelles gegen den Willen eines Elternteils notwendig, dass in Bezug auf die praktische Umsetzung der Regelung eine „hinreichende Erziehungskompetenz“ genauso gegeben ist, wie
„die Erkenntnis, dass eine kontinuierliche und verlässliche Kindeserziehung der elterlichen Kooperation und eines Grundkonsens in wesentlichen Erziehungsfragen bedarf“.
BGH, Beschluss vom 01.02.2017, XII ZB 601/15,
Bei der Bewertung dieses Kriteriums darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es eben nicht Voraussetzung einer solchen Anordnung ist, dass die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit so weit geht, dass ein Konsens oder eine konsensähnliche Kommunikation vorliegt. Das ergibt sich bereits daraus, dass
„der Wille des Elternteils und das Kindeswohl nicht notwendig übereinstimmen und es auch nicht in der Entscheidungsbefugnis eines Elternteils liegt, ob eine dem Kindeswohl entsprechende gerichtliche Anordnung ergehen kann oder nicht.“
BGH, Beschluss vom 01.02.2017, XII ZB 601/15,
(vgl. auch BGH FamRZ 2016, 2082 Rn. 35; OLG Naumburg FamRZ 2014, 1860, 1861; Schmid NZFam 2016, 818, 819)
Vielmehr ist lediglich notwendig, dass die entsprechende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit nicht in einem Ausmaß gestört ist, dass die praktische Umsetzung der beabsichtigten Regelung unmöglich erscheinen lässt. Denn ausdrücklich stellt der BGH bei dem Erfordernis der Kooperation und Kommunikation auf die Fragen der praktischen Verwirklichung ab.
Entgegenstehender Wille kein Hindernis
Ein entgegenstehender Will eines Elternteils kann das Wechselmodell daher nur dann verhindern, wenn anhand konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, dass den Kindeseltern das zur praktischen Verwirklichung des Betreuungsmodelles notwendige Maß an Kommunikation und Kooperation nicht möglich ist und gerade deshalb mit einer die positiven Auswirkungen eines Wechselmodelles überlagernden negativen Folge für das Kind konkret zu befürchten ist. Dabei muss diese Folge so geartet sein, dass sie gerade durch die Vermeidung des Wechselmodells zu verhindern ist. Denn nur wenn die angebrachten Schwierigkeiten ohne ein Wechselmodell nicht oder in nur erheblich geringerer Ausformung zu erwarten sind kann die Ablehnung eines Wechselmodells mit der damit einhergehenden Verringerung des Kontaktes zwischen Kind und Elternteil und dem damit einhergehenden faktisch weitreichenden Eingriff in Art 6 II GG überhaupt als besser geeignet betrachtet werden, dem Wohl des Kindes zu dienen. Nur wenn die Verringerung des Umganges im Residenzmodell dem Wohle des Kindes besser dient kann eine solche Vermeidung des Wechselmodells als Eingriff in die Rechte aus Art. 6 II GG von Elternteil und Kind gerechtfertigt sein.
Dabei wird zu beachten sein, dass davon auszugehen ist, dass der Umgang mit beiden Elternteilen dem Wohl des Kindes dient (vgl. § 1626 III Satz 1 BGB) und umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse zu den positiven Folgen eines erfolgreich praktizierten Wechselmodells bekannt sind.
Die Anforderungen an die Feststellung einer das Wechselmodell verhindernden Kooperations- und Kommunikationsunfähigkeit sind deshalb hoch anzusetzen. Dabei wäre ggf. explizit aufzuführen, warum ein Residenzmodell die bezüglich der konkret erwarteten Schwierigkeiten bessere Lösung sein soll.
Parallele zur gemeinsamen Sorge
Hier wird analog zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft bei der Prüfung der Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge zu berücksichtigen sein, dass nicht jeder Konflikt der Eltern geeignet ist einer gemeinsamen Verantwortung im Wege zu stehen. Bei der gemeinsamen Sorge ist anerkannt, dass selbst erhebliche Kommunikationsprobleme die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge zum Wohl des Kindes nicht zwingend erfordern (Schwab/Motzer HdB ScheidungsR III Rn. 117 f.). Zwar wird für die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge eine objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft der Eltern gefordert (BVerfG FamRZ 2003, 285 [286]; BGH NJW 2008, 662 [664]; FamRZ 2004, 802 [803]). Für deren Verneinung reicht jedoch nicht jede Kommunikationsunstimmigkeit. Bloße Verständigungsschwierigkeiten genügen nicht; es müssen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für eine nachhaltige Einigungsunfähigkeit vorliegen und festgestellt werden (vgl. OLG Köln FamRZ 2015, 2180; BGH FamRZ 2005, 1167) und diese müssen sich auch nachhaltig und tatsächlich negativ auf das Wohl des Kindes auswirken.
Kooperation beim Wechselmodell muss sich nach den konkreten tatsächlichen Anforderungen richten
Diese Ausfüllung der Frage nach dem erforderlichen Ausmaß der notwendigen Kooperation und Kommunikation beim Wechselmodell muss sich nach den tatsächlichen Anforderungen an die konkreten Gegebenheiten eines Betreuungsmodells richten. Damit ist die hier zunächst zu prüfende Frage die nach dem konkreten Maß der für die Umsetzung eines bestimmten Wechselmodelles nötigen Kooperation.
Eine solche Bemessung der Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit setzt zwingend voraus, dass sich detailliert und konkret mit den denkbaren praktischen Betreuungsmodellen auseinandergesetzt wird. Denn nur so kann überhaupt festgestellt werden, welche tatsächlichen Absprachen notwendig sind, und in welchem Ausmaß eine behauptete konfliktbelastete Kommunikation diese notwendigen Kooperationsschritte verhindern oder nachhaltig belasten könnte.
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Hallo,
Danke für diesen Artikel. Diesen habe ich gern gelesen. Aktuell wohnt unser Sohn im Wechsel bei mir und seinem Vater.
Allerdings möchte dieser nun kein Wechselmodell mehr, da er es unserem Sohn die Fahrtzeit nicht zumuten könne, wenn er nun ab Sommer zur Schule geht.
Was gilt denn als „unproblematisch“? Wir wohnen beide in der selben Stadt, allerdings er im Westen, ich im Osten. Die Schule wird im Osten sein. Je nach Verkehr sind mit dem Auto etwa 40-45 Minuten Fahrtzeit, mit der Bahn (Es fährt quasi eine Straßenbahn von Haustür zu fast seiner Haustür) sind es 60 Minuten.
Ich finde, es tut unserem Sohn gut, so viel von beiden Elternteilen zu haben und möchte ungern das einfach ändern – vor allem möchte ich nicht, dass mein Sohn denkt, dass sein Vater ihn nicht mehr lieb hätte bzw. es die Bindung beeinträchtigt.
Liebe Grüße
Hallo, das ist so pauschal schwer zu beantworten. Ob solche Fahrtzeiten als ok angesehen werden hängt sehr davon ab, wo genau man lebt (in Großstädten eher ok), ob das Kind gefahren wird oder selber fahren soll etc.. Wenn es dem Kind im Wechselmodell gut geht würde ich empfehlen erst einmal auszutesten, ob die Fahrerei wirklich so belastend ist. Jedenfalls, wenn die Absprachen mit dem Vater bei Problemen klappen. Für eine genauere Einschätzung buchen Sie gerne eine Erstberatung https://www.anwalt-kindschaftsrecht.de/erstberatung/
Hallo..
ich habe mit großem Interesse diesen Artikel gelesen.
Wie sieht die Situation aus bei einem Kind, das durch eine Affäre entstanden ist (von der Mutter gewollt oder ungewollt sei mal dahin gestellt). Der Vater des Kindes hat aber eine Partnerin, die eben nicht die Mutter des Kindes und mit dem Vater des Kindes auch nicht verheiratet ist. Die Mutter des Kindes lehnt jeden Kontakt der Partnerin des Vaters zum Kind ab (weil diese Angst hat, die Partnerin würde dem Kind etwas antun aus Eifersucht).
Jetzt will sie aber ein Wechselmodell in der Versorgung des Kindes – vermutlich ab in einigen Monaten. (Das Kind ist jetzt 3 Wochen alt.) Die Mutter erfährt, das der Vater mit seiner Partnerin zusammen ziehen möchte, und rudert zurück und schließt das Wechselmodell (erstmal) aus.
Der Partnerin des Vaters ist diese Entscheidung der Mutter recht (da sind sich die „verfeindeten“ Lager ausnahmsweise mal einig), ihr würde alle 2 Wochenenden vollkommen reichen, das Kind in einer gemeinsamen Wohnung mit dem Vater um sich zu haben.
Jetzt zu der eigentlichen Frage: kann man den Vater zu einem solchen Kindbetreuungs-Wechselmodell gerichtlich zwingen, zumal die Eltern des Neugeborenen nie ein Paar waren und das Kind in eine Situation hinein geboren wurde, der demnach auch keine Trennung voran ging.
Des Weiteren sind zwar die Eltern des Kindes in einer Stadt, aber in der Großstadt sind zeitliche Wege z.T. sehr lang und möglicherweise mit der selbstständigen Tätigkeit des Vaters schlecht vereinbar, weil sich Fahrzeiten für Kita und Schule auf mehr als 4 Std. am Tag summieren könnten.
Auch wenn bei einem 3 Wochen alten Säugling Kita und Schule noch weit weg sind, so nehme ich an, dass eine erstmal gefällte Wochenwechselmodell-Entscheidung nicht einfach wieder aufgehoben werden kann, wie es eben passt, oder?
Lediglich ist zu vermuten, dass bei der Kindesmutter die Hoffnung bestand uns noch immer besteht, die Partnerin des Kindesvater würde sich mit der Information über die Schwangerschaft dann trennen und sie „bekommt“ den Kindesvater so für sich gewonnen, bzw. jetzt nach der Geburt Entscheidungen trifft „im Sinne des Kindes“ (eher das Kind als Druckmittel nutzt), um die Partnerin des Kindesvaters mürbe zu machen und zur Trennung zu bewegen.
Diese sehr komplexe Situation können wir gerne im Rahmen einer Erstberatung besprechen. Sie können diese auf unserer Website buchen.
Wir können in den Kommentaren leider keine Rechtsberatung für individuelle Fälle geben. Gerne können Sie aber bei uns eine Erstberatung buchen, dort können wir Ihnen eine erste Einschätzung geben.